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Rom, den 1. März.

Sonntags gingen wir in die Sixtinische Capelle, wo der Papst mit den Cardinälen der Messe beiwohnte. Da die letzteren wegen der Fastenzeit nicht roth sondern violett gekleidet waren, gab es ein neues Schauspiel. Einige Tage vorher hatte ich Gemählde von Albert Dürer gesehen und freute mich nun so etwas im Leben anzutreffen. Das Ganze zusammen war einzig groß und doch simpel, und ich wundere mich nicht, wenn Fremde, die eben in der Charwoche, wo alles zusammentrifft, hereinkommen, sich kaum fassen können. Die Capelle selbst kenne ich recht gut, ich habe vorigen Sommer drinn zu Mittag gegessen und auf des Papstes Thron Mittagsruhe gehalten und kann die Gemählde fast auswendig, und doch, wenn alles beisammen ist, was zur Function gehört, so ist es wieder was anders, und man findet sich kaum wieder.

Es ward ein altes Motett, von einem Spanier Morales componirt, gesungen, und wir hatten den 287 Vorschmack von dem was nun kommen wird. Kayser ist auch der Meinung, daß man diese Musik nur hier hören kann und sollte, theils weil nirgends Sänger ohne Orgel und Instrument auf einen solchen Gesang geübt sein können, theils weil er zum antiken Inventario der päpstlichen Capelle und zu dem Ensemble der Michel Angelos, des jüngsten Gerichts, der Propheten und biblischen Geschichte einzig passe. Kayser wird dereinst über alles dieses bestimmte Rechnung ablegen. Er ist ein großer Verehrer der alten Musik und studirt sehr fleißig alles was dazu gehört.

So haben wir eine merkwürdige Sammlung Psalmen im Hause; sie sind in italiänische Verse gebracht und von einem venetianischen Nobile, Benedetto Marcello, zu Anfang dieses Jahrhunderts in Musik gesetzt. Er hat bei vielen die Intonation der Juden, theils der spanischen theils der deutschen, als Motiv angenommen, zu andern hat er alte griechische Melodien zu Grunde gelegt und sie mit großem Verstand, Kunstkenntniß und Mäßigkeit ausgeführt. Sie sind theils als Solo, Duett, Chor gesetzt und unglaublich original, ob man gleich sich erst einen Sinn dazu machen muß. Kayser schätzt sie sehr und wird einige daraus abschreiben. Vielleicht kann man einmal das ganze Werk haben, das Venedig 1724 gedruckt ist und die ersten fünfzig Psalmen enthält. Herder soll doch aufstellen, er sieht vielleicht in einem Katalogus dieß interessante Werk.

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[ Gräf Nr. 875: Ich habe den Muth gehabt, meine drei letzten Bände auf einmal zu überdenken, und ich weiß nun genau, was ich machen will; gebe nun der Himmel Stimmung und Glück es zu machen.

Es war eine reichhaltige Woche, die mir in der Erinnerung wie ein Monat vorkommt.

Zuerst ward der Plan zu Faust gemacht, und ich hoffe, diese Operation soll mir geglückt sein. Natürlich ist es ein ander Ding, das Stück jetzt oder vor funfzehn Jahren ausschreiben, ich denke, es soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt glaube den Faden wieder gefunden zu haben. Auch was den Ton des Ganzen betrifft, bin ich getröstet; ich habe schon eine neue Scene ausgeführt, und wenn ich das Papier räuchre, so dächt' ich, sollte sie mir niemand aus den alten herausfinden. Da ich durch die lange Ruhe und Abgeschiedenheit ganz auf das Niveau meiner eignen Existenz zurückgebracht bin, so ist es merkwürdig, wie sehr ich mir gleiche und wie wenig mein Innres durch Jahre und Begebenheiten gelitten hat. Das alte Manuscript macht mir manchmal zu denken, wenn ich es vor mir sehe. Es ist noch das erste, ja in den Hauptscenen gleich so ohne Concept hingeschrieben, nun ist es so gelb von der Zeit, so vergriffen (die Lagen waren nie geheftet), so mürbe und an den Rändern zerstoßen, daß es wirklich wie das Fragment eines alten Codex aussieht, so daß ich, wie ich damals in eine frühere Welt mich mit Sinnen 289 und Ahnden versetzte, mich jetzt in eine selbst gelebte Vorzeit wieder versetzen muß.

Auch ist der Plan von Tasso in Ordnung und die vermischten Gedichte zum letzten Bande meist in's Reine geschrieben. Des Künstlers Erdewallen soll neu ausgeführt und dessen Apotheose hinzugethan werden. Zu diesen Jugendeinfällen habe ich nun erst die Studien gemacht, und alles Detail ist mir nun recht lebendig. Ich freue mich auch darauf und habe die beste Hoffnung zu den drei letzten Bänden, ich sehe sie im Ganzen schon vor mir stehen und wünsche mir nur Muße und Gemüthsruhe, um nun Schritt vor Schritt das Gedachte auszuführen. ]

Zur Stellung der verschiedenen kleinen Gedichte habe ich mir deine Sammlungen der zerstreuten Blätter zum Muster dienen lassen und hoffe zur Verbindung so disparater Dinge gute Mittel gefunden zu haben, wie auch eine Art, die allzu individuellen und momentanen Stücke einigermaßen genießbar zu machen.

Nach diesen Betrachtungen ist die neue Ausgabe von Mengsens Schriften in's Haus gekommen, ein Buch, das mir jetzt unendlich interessant ist, weil ich die sinnlichen Begriffe besitze, die nothwendig vorausgehen müssen, um nur eine Zeile des Werks recht zu verstehen. Es ist in allem Sinne ein trefflich Buch, man lies't keine Seite ohne entschiedenen Nutzen. Auch seinen Fragmenten über die Schönheit, welche 290 manchem so dunkel scheinen, habe ich glückliche Erleuchtungen zu danken.

Ferner habe ich allerlei Speculationen über Farben gemacht, welche mir sehr anliegen, weil das der Theil ist, von dem ich bisher am wenigsten begriff. Ich sehe, daß ich mit einiger Übung und anhaltendem Nachdenken auch diesen schönen Genuß der Weltoberfläche mir werde zueignen können.

Ich war einen Morgen in der Galerie Borghese, welche ich in einem Jahr nicht gesehen hatte, und fand zu meiner Freude, daß ich sie mit viel verständigern Augen sah. Es sind unsägliche Kunstschätze in dem Besitz des Fürsten.