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48/220. An Carl Friedrich Zelter

[ Gräf Nr. 1918: Seit drey Wochen, wie ich schon geklagt habe, von katarrhalischen Unbilden und dem widerwärtigsten 241 Wetter niedergehalten, hab ich mich denn doch immer, wie dir auch angenehm zu hören seyn wird, dergestalt zu fassen und zu wehren gesucht, daß ich Tag vor Tag nicht nachgab, sondern fort und fort das Nächste zu fördern trachtete, so daß ich durch diese Hindernisse nicht zurückgehalten ward, sondern vorwärts gegangen bin und zwar in bedeutenden Angelegenheiten, wo man, wenn auch nicht große, nur sichre Schritte zu machen hat. Darunter ist denn auch einiges, das, wenn es dir seiner Zeit vor die Seele gebracht wird, dich nicht ohne Anregung lassen kann. ]

Wie es die Welt jetzt treibt, muß man sich immer und immerfort sagen und wiederholen: daß es tüchtige Menschen gegeben hat und geben wird, und solchen muß man ein schriftlich gutes Wort gönnen, aussprechen und auf dem Papier hinterlassen. Das ist die Gemeinschaft der Heiligen, zu der wir uns bekennen. Mit den Lippen mag ich nur selten ein wahres, grund-gemeyntes Wort aussprechen; gewöhnlich hören die Menschen etwas Anderes, als was ich sage, und das mag denn auch gut seyn.

Dagegen bin ich denn auch für Geduld und Beharrlichkeit belohnt worden durch eine Zeichnung von Sachtleben, einem Künstler des 17. Jahrhunderts, Schüler und Meister der dort lebendigen Kunstepoche. Das Blättchen ist quer Groß-Octav, wenig angefärbt. Er hatte sich in die Rheingegenden verliebt, seine 242 besten Bilder stellen dergleichen dar, und dieß ist auch eine.

Das Merkwürdige dieses Blättchens ist: daß wir die Natur und den Künstler im Gleichgewicht mit einander gehen und bestehen sehen, sie sind ruhig befreundet; er ist's, der ihre Vorzüge sieht, anerkennt und sich auf's billigste mit ihnen abzufinden sucht. Hier ist schon Nachdenken und Überlegung, entschiedenes Bewußtseyn, was die Kunst soll und vermag, und doch sehen wir die Unschuld der ewig gleichen Natur vollkommen gegenwärtig unangetastet.

Dieser Anblick erhielt mich aufrecht, ja es ging so weit, daß, wenn ich mich augenblicklich schlecht befand und davor trat, fühlt ich mich wirklich unwürdig es anzusehn. Der tüchtige muthige Geselle, der solches vor hundert Jahren in heiterster Gegenwart niedergeschrieben hatte, konnte den kümmerlich Beschauenden in Mitten der tristen thüringischen Hügelberge kaum erdulden. Wischt ich mir aber die Augen aus und richtete mich auf, so war es denn freylich heiterer Tag wie vorher.

Nun aber bin ich veranlaßt, dich in die entgegengesetzten Regionen zu führen, indem ich kürzlich referiren möchte: daß ich, durch das Strudeltagsgelese, in die gränzenlosen Schrecknisse der neusten französischen Romanliteratur bin hineingeschleppt worden. Ich will mich kurz fassen: es ist eine Literatur der Verzweiflung. Um augenblicklich zu wirken (und das 243 wollen sie doch, weil eine Ausgabe auf die andere folgen soll) müssen sie das Entgegengesetzte von allem, was man dem Menschen zu einigem Heil vortragen sollte, dem Leser aufdringen, der sich zuletzt nicht mehr zu retten weiß. Das Häßliche, das Abscheuliche, das Grausame, das Nichtswürdige, mit der ganzen Sippschaft des Verworfenen, in's Unmögliche zu überbieten, ist ihr satanisches Geschäft. Man darf und muß wohl sagen Geschäft: denn es liegt ein gründliches Studium alter Zeiten, vergangener Zustände, merkwürdiger Verwicklungen und unglaublicher Wirklichkeiten zum Grunde, so daß man ein solches Werk weder leer, noch schlecht nennen darf. Auch entschiedene Talente sind's, die dergleichen unternehmen, geistreiche vorzügliche Männer, von mittleren Jahren, die sich durch eine Lebensfolge verdammt fühlen, sich mit diesen Abominationen zu beschäftigen.

Dein heiter-thätiges Brieflein kommt an,

fahre fort mich zu erfreuen.

Weimar den 18. Juni 1831.

G.