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[ Biedermann-Herwig Nr. 6768: Heut bey Tisch erzählte mir Goethe daß er den vierten Act des Faust angefangen, und so fortzufahren gedenke, welches mich sehr beglückte.

Sodann sprach er mit großem Lob über Carl Schöne1)1) Gemeint ist die Schrift „De Personarum in Euripidis Bacchabus habitu scenico commentatio“ von Friedrich Gotthold Schön (nicht Karl Schöne). , einen jungen Philologen in Leipzig, der ein Werk über die Costüme in den Stücken des Euripides geschrieben, und bey großer Gelehrsamkeit doch davon nicht mehr entwickelt als eben zu seinen Zwecken nöthig.

„Ich freue mich, sagte Goethe, wie er mit productivem Sinne auf die Sache losgeht, während andere Philologen der letzten Zeit sich gar zu viel mit dem Technischen und mit langen und kurzen Sylben zu schaffen gemacht haben.

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Es ist immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit, wenn sie so ins Kleinliche und Technische geht, und ebenso ist es ein Zeichen eines unproductiven Individuums wenn es sich mit dergleichen befaßt.

Und dann sind auch wieder andere Mängel hinderlich. So finden sich z. B. in Graf Platen fast alle Haupterfordernisse eines guten Poeten: Einbildungskraft, Erfindung, Geist, Productivität besitzt er in hohem Grade, auch findet sich bey ihm eine vollkommene technische Ausbildung; allein ihm fehlet – die Liebe. – Er liebt so wenig seine Leser, und seine Mit-Poeten als sich selbst und so kommt man in den Fall auch auf ihn den Spruch des Apostels anzuwenden: und wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Noch in diesen Tagen habe ich G edichte von Platen gelesen und seine glänzenden Eigenschaften nicht verkennen können, aber wie gesagt, die Liebe fehlt ihm, und so wird er auch nie so wirken als er hätte können. Man wird ihn fürchten, und er wird der Gott derer seyn, die gerne wie er negativ seyn möchten aber nicht wie er das Talent haben 1)1) Hier ist also die vielberufene Stelle über Platen in ihrer ursprünglichen Fassung und unter dem richtigen Datum. Die erste Ausgabe der „Gespräche“ (1836) überliefert sie im 1. Band unterm 25. Dezember 1825; beim Druck seines Buches brauchte Eckermann am Schluß des Jahres 1825 zur Füllung einer leeren Seite noch ein wenig Text, er schob daher dieses Urteil über Platen ein, das er zuerst im Manuskript zum 2. Band unterm 11. Februar 1831 fortgelassen und durch weniger herbe Worte ersetzt hatte. Aus Rücksicht auf den noch lebenden Dichter nannte er aber dessen Namen nicht, so daß die Stelle vielfach auf Heine gedeutet wurde. Da Platen unterdes gestorben war, klärte Eckermann den Sachverhalt in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ vom 26. Dezember 1836 auf. Eine entsprechende Textänderung wurde aber erst in der 3. Auflage 1867 vorgenommen. Goethes Wort über Platen klingt uns noch aus der jüngsten Literatur entgegen. In seinen kürzlich erschienenen Briefen bezeichnet Frank Wedekind einmal als das, was sein Zeitgenosse Gerhart Hauptmann vor ihm voraus habe, die Liebe, mit der Hauptmann die ganze Umwelt umfasse. Diese Äußerung darf wohl als eine bewußte oder unbewußte Reminiszenz an Eckermanns „Gespräche mit Goethe“ gewertet werden. .“

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Abends Ball auf dem Stadthause. Ich rede viel mit Frau v. Spiegel, dann einen Augenblick die schöne Jenny [v. Pappenheim], die mir Vorwürfe macht, daß ich mich nirgend sehen lasse.

Später kam der Kanzler und ich rede mit ihm viel über Goethe. Urdämonen, die unverwüstlich sind, und bey mannigfaltigen Lebensereignissen unter besonderem höheren Schutz stehen. Goethes Ansichten über Unsterblichkeit am Schluß der Helena wie am Schluß des Faust poetisch ausgesprochen.

Wer keinen Namen sich erwarb noch Edles will,
Gehört den Elementen an.

Wir sind sehr glücklich in solchen Gesprächen im Getöse der Tanzmusik, und gehen 528gegen 12 Uhr wo ich ihn bis vor seine Thür begleite. ]