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München, den 6. Juni 1830.

Lange ist es nun schon her, daß ich Euch nicht geschrieben habe, und Ihr habt wohl gar Sorge deswegen gehabt. Nehmt es nur nicht übel; ich konnte wahrlich nichts dafür, habe mich genug geängstigt deswegen, – meine Reise beschleunigt, wie es gehen wollte, – mich nach Schnellposten überall erkundigt, bin überall falsch berichtet worden, bin nun eine Nacht durchgereist, um mit der heutigen Post schreiben zu können, von der ich in Nürnberg erfuhr, und da ich endlich hier ankomme, geht heut gar keine Post ab. Ich möchte toll werden, und Deutschland mit seinen kleinen Fürstenthümern, seinem verschiedenen Gelde, seinen Fahrposten, die 5/4 Stunden zur Meile brauchen, und seinem Thüringer Walde, wo es regnet und stürmt, ja sogar mit seinem Fidelio heut Abend hier, kann mir gewogen bleiben! Denn so todmüde ich bin, muß ich nun doch pflichtschuldigst hineingehen, und möchte viel lieber schlafen. Seid nur nicht böse auf mich, und scheltet mich auch nicht, wegen des langen Verzugs; ich kann Euch sagen, daß ich heut Nacht, während des Fahrens immer aus den Wolken den Zopf, oder die Nase 11kucken sah, die ich hier bekommen würde. Nun will ich Euch aber auch erzählen, warum ich Euch so spät schreibe. Einige Tage nach meinem letzten Briefe aus Weimar wollte ich, wie ich Euch geschrieben hatte, hieher abreisen, und sagte das auch an Goethe bei Tisch, der dazu ganz still war. – Nach Tische aber zog er aus der Gesellschaft Ottilie in ein Fenster, und sagte ihr: „Du machst, daß er hier bleibt.“ Die versuchte denn nun mich zu bereden, ging mit mir in dem Garten auf und ab; ich aber wollte ein fester Mann sein, und blieb bei meinem Entschlusse. Da kam der alte Herr selbst, und sagte, das wäre ja nichts mit dem Eilen; er hätte mir noch viel zu erzählen, ich ihm noch viel vorzuspielen, und was ich ihm da vom Zweck meiner Reise sagte, das sei gar nichts. Weimar sei eigentlich jetzt das Ziel meiner Reise gewesen, und was ich hier entbehrte, das ich an meinen tables d’hôte finden würde, könne er nicht einsehen; ich solle noch viel Gasthäuser zu sehen bekommen. – So ging’s weiter, und da mich das rührte, und Ottilie und Ulrike auch noch halfen, und mir begreiflich machten, wie der alte Herr niemals die Leute zum Bleiben, und nur desto öfter zum Gehen nöthigte, und wie keinem die Zahl der frohen Tage so bestimmt vorgeschrieben sei, daß er ein Paar sicher frohe wegwerfen dürfte, und wie sie mich dann bis Jena begleiten würden, so wollte ich wieder nicht ein fester Mann sein, und blieb. Selten in meinem Leben habe ich einen Entschluß so wenig bereut, wie diesen, denn der folgende Tag war der allerschönste, den ich je dort im Hause erlebt habe. Nach einer Spazierfahrt des Morgens fand ich den alten Goethe sehr heiter; er kam in’s Erzählen hinein, gerieth von der Stummen von Portici auf Walter Scott, von dem auf die hübschen Mädchen in Weimar, von den Mäd 12chen auf die Studenten, auf die Räuber, und so auf Schiller; und nun sprach er wohl über eine Stunde ununterbrochen heiter fort, über Schiller’s Leben, über seine Schriften, und seine Stellung in Weimar; so gerieth er auf den seel. Großherzog zu sprechen, und auf das Jahr 1775, das er einen geistigen Frühling in Deutschland nannte, und von dem er meinte, es würde es kein Mensch so schön beschreiben können wie er; dazu sei auch der 2. Band seines Lebens bestimmt; aber man käme ja nicht dazu, vor Botanik und Wetterkunde, und all dem anderen dummen Zeug, das einem kein Mensch danken will; erzählte dann Geschichten aus der Zeit seiner Theaterdirektion, und als ich ihm danken wollte, meinte er, „ist ja nur zufällig; das kommt alles so beiläufig zum Vorschein, hervorgerufen durch Ihre liebe Gegenwart.“ Die Worte klangen mir wundersüß; kurz es war eins von den Gesprächen, die man in seinem Leben nicht vergessen kann. [ Biedermann-Herwig Nr. 6573: Den andern Tag schenkte er mir einen Bogen seines Manuscripts von Faust, und hatte darunter geschrieben: dem lieben jungen Freunde F. M. B., kräftig zartem Beherrscher des Piano’s, zur freundlichen Erinnerung froher Maitage 1830. J. W. von Goethe, und gab mir dann noch drei Empfehlungen hieher mit. – Finge nur der fatale Fidelio nicht bald an, so könnte ich noch manches erzählen; so aber nur noch den Abschied vom alten Herrn. Ganz im Anfang meines Aufenthalts in Weimar hatte ich von einer betenden Bauernfamilie von Adr. von Ostade gesprochen, die vor neun Jahren großen Eindruck auf mich gemacht habe. – Als ich nun Morgens hineinkomme, um mich ihm zu empfehlen, sitzt er vor einer großen Mappe und meint: „ja, ja, da geht man nun fort, wollen sehen, daß wir uns aufrecht erhalten bis zur Rückkunft; aber ohne Frömmigkeit 13wollen wir hier nicht auseinander gehen, und da müssen wir uns denn das Gebet noch einigemale zusammen ansehen.“ – Dann sagte er mir, ich solle ihm zuweilen schreiben, (Muth! Muth! Ich thue es von hier aus) und dann küßte er mich, und da fuhren wir weg, nach Jena, wo mich Frommans ungemein freundlich aufnahmen, und wo ich Abends auch von Ulrike und Ottilie Abschied nahm, und so ging es dann hierher. ] Um 9 Uhr. Nun ist Fidelio vorüber, und in Erwartung des Abendessens noch ein Paar Worte. – Die Schechner hat wahrhaftig sehr verloren; der Ansatz der Stimme ist bedeckt; sie hat oft bedeutend heruntergezogen, und dennoch kommt in manchen Momenten die Innerlichkeit so rührend wieder hervor, daß ich in meiner Art zuweilen weinte; – alle übrigen waren schlecht, und so war auch vieles an der Aufführung zu tadeln; doch sind vortreffliche Mittel im Orchester, und die Ouverture ging in der Art, wie sie sie geben, sehr gut. Ist aber doch mein Deutschland ein närrisches Land; es kann die großen Leute hervorbringen und achtet sie nicht; es hat große Sänger genug, viel denkende Künstler, aber keinen untergeordneten, treu und anspruchslos wiedergebenden; Marzelline verziert ihre Rolle; Jaquino ist ein Tölpel; der Minister ein Schaaf; und wenn ein Deutscher, wie Beethoven, eine Oper geschrieben hat, so streicht ein Deutscher, wie Stuntz, oder Poißl, (oder wer es sonst gethan hat) die Ritornelle, und dergleichen Unnützes darin; ein anderer Deutscher setzt Posaunen zu seinen Symphonien; ein dritter sagt dann B. sei überladen, und dann ist ein großer Mann vorbei! – Lebt denn wohl; seid sehr gesund, fröhlich und glücklich, und mögen alle meine Herzenswünsche für Euch in Erfüllung gehen.

Felix.