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5.

Weimar, den 17. Juli 1780.

Guten Abend, lieber Knebel! Es hat neun Uhr geschlagen und ich sitze hier in meinem Kloster*)*) So wurde eine im Park, Goethe’s Gartenhause gegenüber, besindliche Einsiedler-Hütte benannt, die der Herzog damals öfters bewohnte. mit einem Lichte am Fenster und schreibe Dir. Der Tag war ganz außerordentlich schön, und der erste Abend der Freiheit (denn heute früh verließen uns die Gothaner) ließ sich mir sehr genießen. Ich bin in den Eingängen der kalten Küche**)**) Eine Gegend im Park. herumgeschlichen, und ich war so ganz in der Schöpfung und so weit von dem Erden-Treiben. Der Mensch ist doch nicht zu der elenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt; es ist einem ja nicht größer zu Muthe, als wenn man doch die Sonne so unter 119gehen, die Sterne aufgehen, es kühl werden fieht und fühlt, und das Alles so für sich, so wenig der Menschen halber, und doch genießen sie’s und so hoch, daß sie glauben, es sei für sie. Ich will mich baden mit dem Abendstern, und neu Leben schöpfen. Der erste Augenblick darauf sei Dein. Leb wohl so lange.

Ich komme daher. Das Wasser war kalt, denn Nacht lag schon in seinem Schooße. Es war, als tauchte man in die kühle Nacht. Als ich den ersten Schritt hinein that, war’s so rein, so nächtlich dunkel; über den Berg hinter Oberweimar kam der volle rothe Mond. Es war so ganz stille. Wedels Waldhörner hörte man nur von weitem, und die stille Ferne machte mich reinere Töne hören, als vielleicht die Luft erreichten.

Die Gothaner haben uns ganzer acht Tage gefaßt, minus etliche Stunden. Ich habe mich gut mit ihnen verhalten, und war so vertraulich, als es ihre Natur erlaubt. [ Pniower Nr. 32: Goethe las gestern Abend dem Herzog von Gotha, seinem Bruder und mir, während unten soupirt wurde, auf meiner Stube den Faust vor. Es schlug doch ziemlich Alles bei ihnen richtig an. ] Albrechts altes Grief wegen des an Hof Essens ist gehoben, er war gestern bei Tafel und ich stellte ihn dem Herzog vor. Letzterer meinte, er könne noch nicht recht klug aus ihm werden. Er hat versprochen, hier zu bleiben und nur einige Ausflüge wieder sich zu erlauben. Wir treiben alle Sonntage Vormittags richtig unsere drei Stunden Physik. Er versicherte neulich, daß dieser cours de Physique nicht auf drei, sondern auf 10 Jahre calculirt sei. Es hat sich ein großer Erdfall bei Kahla gezeigt, welcher die Saale verschüttete. Ich war mit dem Herzog von Gotha dort; Krause hat ihn gezeichnet. Sein Anblick, wenn man ihn in der Nähe sieht, ist groß und imposant. Ganze Fichten und Obstbäume sind verrückt und verworfen. Letztere haben sich dabei nicht verändert, sondern tragen Frucht nach wie vor. Es ist nicht vom Erdbeben entstanden, sondern Quellen und vielleicht die Saale selbst haben an Höhlungen gewaschen, welche endlich den Berg nicht mehr tragen konnten. Der Herzog fuhr dann auf Jena und besah die Bibel-Sammlung und Loders Cabinet. Dieser kommt übermorgen hierher und wird ein Kind seciren. Vorgestern Nachts brannte es wieder in Apolda, nur aber ein Schafstall ward versehrt. Es ist fast gewiß, daß es angelegt worden, denn um diese Jahreszeit ist Niemand im Stalle. Du wirst Dich wundern, wie unvorsichtig man in der Schweiz mit Feuer und Licht umgeht, und doch brennt’s nicht. Ich erwarte bald Nachricht von Dir, welchen Weg Du nimmst oder nehmen wirst. Ist’s Dir in Frankreich besser als in Genf, so reise hin. Hat des Menschen Seele keine Ruh, so suche sie. Im weitläuftigen Suchen findet sich zuweilen ein unerwarteter Grund zur Ruhe. Grüße Lavatern, wenn Du noch in Zürich bist, und küsse ihn. Meine Frau und die Waldner denken Deiner. Leb wohl, Lieber!

T. A., H. z. S.