7. Schreiben eines Politikers an die Gesellschaft

am 6. Januar 1776.1)

1) Eine jener s. g. Matinées, mit denen die genialen Schöngeister Weimars ihre Eigenheiten launig-satyrisch zu geißeln liebten. „Wir machen des Teufels Zeug“, schrieb Goethe am 8. März 1776 an Merck. Einsiedel charakterisirte mit Obigem unter dem Namen Mephistopheles fast sämmtliche Mitglieder, auch sich selbst mit, und ohne sich zu schonen.

(Von v. Einsiedel.)

Ihr lieben Herren allerseit
Wie ihr so eb’n versammlet heut,
Ich bitt’ euch hört gelaßen an
Ein Wort von einem weisen Manu;
Der in der Welt sich was versucht
Die großen Höf’ hat all besucht,
Weiß Lebensart polit und fein
Spricht sein Französisch obendrein,
Könnt’ all Tag Reisemarschall seyn.
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Der Pflicht er sich entledigt gern,
Lobt sich dabey das Dunkelfern:
Denn so der Mittagssonne Licht
Ist allemal sein casus nicht. –
Doch ohne länger zu verweilen
Woll’n wir zur Sache selber eilen.
Ihr wißt, und es ist sonnenklahr,
Bewiesen durch viel tausend Jahr,
Gesagt von Griechen Römern Britten:
Daß böse Gesellschaft verderbe die Sitten.
Dieß alte Sprichwort kurz und rund,
Soll abgeb’n meines Schreibens Grund;
Wie ich’s gedenk zu appliciren
Sollt ihr gleich in der Folge spühren. –
Die Fama mit den tausend Ohren,
Der ihr umsonst thut Esel bohren,
Verkündigt viel zu eurer Schmach
Von eurem Jucks am Sammestag:
Drum ich aus Mitleid euch will führen
Lehrn Guts und Böses separiren,
Und wenn’s beliebt, zum neuen Jahr,
Den Staar euch stechen ganz und gar. –
’s Versteht sich, und ist wohl vergönnt,
Wenn euch die Langeweile brennt,
Zuweilen Spaß für euch zu treiben;
Nur muß er stets in Schranken bleiben,
Und nicht wie’s leider von euch kund
Das Ding all werden gar zu bunt:
Kann solch ein Wesen nicht bestehn
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Müßt alle so zum Teufel gehn. –
Der Wahrheit euch zu überführen,
Sollt ihr die Must’rung all passiren
Werd Mann für Mann genau skizziren,
Daß nicht mehr gilt ein X für U,
Tritt keiner in des andern Schuh.
Hoff’, da ihr trinkt viel Punsch und Wein
’s wird unter euch kein’ Rangsucht seyn. – –
Zuerst also: von ohngefehr
Läuft mir ein langer Bursch2) die Queer

2) Ober-Forstmeister und Cammerherr von Wedel. (Anmerkung Goethe’s.)

Von ungeschlachter roher Arth
Thut altklug schon; hat kaum ’en Barth,
Sein Aeußerlichs natürlich und schlecht
Ist alle gut, ist alle recht
’s wird aber nichts durch effectuirt
Die große Welt will’s modulirt.
Weil er so läuft auf der tollen Bahn
Sieht ihn drum keine Hofdam’ an,
Bleibt ein Geselle plump und grob,
Hat für den bon ton keinen Kop!:
Mag indeß eine Weil so springen,
Ein Weib ihn zur raison wird bringen. –
Wend mich nun dorthin, weiter unten
Zu einem andern Vagabunden.
Der Knabe3) mit der platten Stirn,

3) Hofrath von Einsiedel, der Autor selbst. (Anmerkung Goethe’s.)

Hält Wunderding von seinem Gehirn.
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Der Narr weil ’r mit Gelehrten lebt
Meynt drum er sey auch ein Adept:
Glaubt er hiel’ den Teufel beym Schwanz
Wenn er sich deckt mit anderer Glanz.
Könnt er für Trägheit selbst was schaffen,
Thät er nicht allen Quarck begaffen
In allen Dreck seine Nase stecken,
Und dann posaunen an allen Ecken. –
Er treibt mit Zucht und Ordnung Spott,
Lebt wie ein Schwein, ohn all Geboth,
Schleicht jämmerlich bey Hofe rum:
Ist halb verrückt, halb toll, halb dumm. –
Doch schlimmer als die allesammt,
Ist jener dort4): zur Höll’ verdammt;

4) Hauptmann von Knebel. (Anmerkung Goethe’s.)

Der seine Schand selbst etalirt
Das Aergst’ von sich im Munde führt.
Der gelebt in Sodom lange Jahr,
Ist drum an ihm kein gutes Haar;
Von einem gallicht-ranz’gen Spleen
Auch ihn die Mädgens alle fliehn.
Wär gern zuweil’n e’ Bösewicht:
Da fehlt’s dem Kerl am Schnellgewicht,
Dann wieder ’en empfindsam Schaaf:
Da hindert ihn der Dumpfheit Schlaf,
Drum er in ew’ger Tollheit rennt
Weiß nicht was’n auf den Wirbel brennt. –
Auch misbehäglich mich ansticht,
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Der Philosophen Angesicht;
Der eine5) schwärmt und Unsinn schwätzt,

5) Wieland. (Anmerkung Goethe’s.)

Euch auf sein Steckenpferdlein setzt
Und eure Fantasie rum hetzt;
Beliebt’s euch, das nicht zu goutiren
Thut er euch launisch exorciren.
Der Andre6) analitisch kalt,

6) Hofrath Albrecht. (Anmerkung Goethe’s.)

Braucht an der Sinnlichkeit Gewalt;
Nie seinen spitzen Reden traut,
Auch sich’s dabey gar schlecht verdaut. –
Dem Ausbund7) aller, dort von Weiten

7) Goethe. (Anmerkung Goethe’s.)

Möcht’ ich auch ein Süpplein zubereiten,
Fürcht nur sein ungeschliffnes Reiten;
Denn sein verfluchter Galgenwitz
Fährt aus ihm wie Geschoß und Blitz.
’s ist ein Genie, von Geist und Kraft:
(Wie eb’n unser Herr Gott Kurzweil schafft)
Meynt, er könn uns all übersehn
Thäten für ihn rum auf Vieren gehn,
Wenn der Fratz so mit einem spricht
Schaut er einem stier ins Angesicht,
Glaubt er könns fein riechen an,
Was wäre hinter jedermann.
Mit seinen Schriften unsinnsvoll
Macht er die halbe Welt itzt toll,
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Schreibt n’ Buch von ein’m albern Tropf,
Der heiler Haut sich schießt vorn Kopf:
Meynt Wunder was er ausgedacht,
Wenn ihr einem Mädel Herzweh macht.
[ Pniower Nr. 28b:
Paradirt sich drauf als Doctor Faust,
Daß ’m Teufel selber vor ihm graußt.
 ]
Mir könnt’ er all gut seyn im Ganzen,
(Thät mich hinter meinen Damm verschanzen)
Aber wär ich der Herr im Land
Würd’ er, und all sein Zeugs verbannt. – –
Nun denk man sich ’en Fürstensohn8),

8) Herzog. (Anmerkung Goethe’s.)

Der so vergißt Geburth und Thron,
Und lebt mit solchen lockern Gesellen
Die dem lieben Gott die Zeit abprellen;
Die thun als wärn sie seines Gleichen,
Ihm nicht einmal den Fuchsschwanz streichen,
Die des Bruders9) Respect so ganz verkennen,

9) Prinz Constantin. (Anmerkung Goethe’s.)

Tout court ihn Bruder Herz thun nennen,
Glaub’n es wohne da Menschenverstand
Wo man all etiquette verbannt.
Sprech’n immer aus vollem Herz
Treib’n mit der heilgen Staatskunst Scherz,
Sind ohne Plan und Politik
Verhunz’n unser bestes Meisterstück;
Daß es ist ein Jammer anzusehn
Wie alle Projecte ä.. lings10) gehn. –

10) Im Original ausgeschrieben.

Hoff’ aber ich hab sie schön curirt,
Sie weidlich all prostituirt;
Deß jedermann wird danken fein,
Der saubern Herrn Colleg zu seyn.

Mephistopheles.