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Jena, den 13. November 1817.

[ Gräf Nr. 1195: Goethe ist, wie Sie wohl wissen werden, seit einigen Tagen wieder bei uns und besucht uns täglich. Der Hauptgegenstand unsrer Unterhaltungen war meist – außerdem was die Zeit so reichlich mit sich bringt – Lord Byron’s Manfred. Goethe hat es mitgebracht und übersetzt daran – was er eigentlich nur geschickt zu Stande bringen möchte. Es ist ein gewaltiger Geist in dem Stück – man möchte fast sagen ein Uebergeist – denn er bändigt die Geister, die ihm häufig in dem Stück erscheinen, und um deren willen das Ganze da zu sein scheint. Man kann nicht zweifeln, daß Lord Byron eine Notiz von Goethe’s Faust gehabt habe, und aus diesem Geist scheint sein Werk entsprungen zu sein. Aber statt daß Goethe das Innere, Gewaltige nach Außen wendet, treibt es der englische Dichter von Außen nach Innen und sucht seine Hölle in sich auf. Ich darf Ihnen nicht mehr von dem Werke sagen, um nicht räthselhaft zu werden, da Sie es wahrscheinlich noch nicht gelesen haben. Aber es wird Sie wunderbar ergreifen, und man kann es so leicht nicht wieder aus den Gedanken bringen. Vergessen darf ich es doch nicht, daß die höchsten 383und herrlichsten Gegenstände der Natur in demselben auf das trefflichste hingestellt sind und die leisesten Gefühle berührt. ]

Die Begebenheiten der Zeit erzählen uns gar manches. Der Eisenacher Studentenkongreß macht mehr Aufsehen, als es zu wünschen wäre. Mich däucht, unser Großherzog hat keine ungeschickte Rolle dabei gespielt, und es ist zu wünschen, daß sich die Regierungen nicht darein mischen möchten. Man sagt mir, daß Hofrath Luden und Martin sich entschlossen hätten, zu der Zeitschrift für die Burschen Beiträge zu geben, und darin den Geist derselben etwas zu mildern. Das scheint mir in der That das klügste, so wird sich der gewaltige Enthusiasmus nach und nach legen und zu mehrerer Einsicht und Reife gelangen; durch Strenge und Gewalt wird hier nichts Gutes gethan.

Von Ludwig Wieland’s Talent zu schreiben, habe ich eine gute Meinung. Ohne ihn gehen die Oppositions-Blätter zu Grunde. Freilich ist er zuweilen etwas schroff – aber oft bringen es auch die Gegenstände mit sich. Sein Urtheil ist meist scharf und richtig. Uebrigens möchte es doch nicht übel sein, wenn die Wahrheit zuweilen so wie sie ist dargestellt würde. Es erwüchse dadurch wenigstens eine Opinion im Volke, die man zu scheuen hätte, und die bisher gar zu wenig respektirt wurde. Was hätte es z. B. zu sagen, wenn man Schnürbrüste für das Militär als lächerlich darstellte? was sie doch in der That sind und sogar der Gesundheit höchst nachtheilig! Wir sind noch lange nicht an der englischen Freiheit. Hier fällt mir noch ein, daß ich kürzlich von einer antiken Statue des Antinous gelesen habe, an welcher man die hohe Brust, als weibisch mit Recht tadelt – und damit sollen sich jetzt die preußischen Krieger schmücken!!