381

[2986.]

August 4. F. Förster.

(Donnerstag) [ Biedermann-Herwig Nr. 6878: früh 5 Uhr verließ ich heut’ Erfurt, wo ich dem großen Musikfeste beigewohnt, und traf mit dem Schlage 8 Uhr in Weimar ein, wo ich in dem Erbprinzen abtrat. Um 10 Uhr ließ ich bei Goethe anfragen, ob und wann ich Se. Exzellenz aufzuwarten die Ehre haben könnte; ich wurde auf 1½ Uhr beschieden. Da ich schon öfter so glücklich war, seines persönlichen Umganges und Gespräches mich zu erfreuen, war die heutige Begegnung frei und ungezwungen und ich war erstaunt und erfreut, den alten Herrn ~ um vieles verjüngter und frischer zu finden. Mit großer Freundlichkeit kam er mir entgegen, nötigte mich auf das Sofa, während er auf dem Stuhle blieb. Meine Mitteilungen bezogen sich auf meine italienische Reise und auf ... steins Briefe. Gleich bei dem Eintritt erkundigte er sich nach meiner Frau und auch beim Abschied rief er mir lebhaft nach: Grüßen Sie mir ja die gute, liebe Frau! Er bat mich, in dem oberen Stock seiner Schwiegertochter einen Besuch zu machen, was ich auch tat. ~ Ich war nicht lang bei ihr, als der Vater heraufschickte und mich bitten ließ, mittag sein Gast zu sein; nur Frau von Goethe und Dr. Eckermann waren außer ihm und mir am Tisch; ich saß ihm gegenüber, er hatte einen braunen Überrock an und trug einen grünen Schirm vor den Augen, doch so, daß ich in sein volles, belebtes Gesicht und seine aufblitzenden Augen sehen konnte. Der Papa legte vor, kein Wasser kam auf den Tisch, nur Wein, er empfahl dem Dr. Eckermann das Schenk-Amt. Er rühmte das erste Brot von neuem Korn erhalten zu haben. Von dem Tischgespräch will ich versuchen einiges aufzuzeichnen. – Gespräch über neuere Kunst und neuere Künstler; Goethe hat an beides keinen rechten Glauben: wir haben uns, sagte er, es dreißig Jahre und länger damit sauer werden lassen und es ist uns schlecht bekommen, es wird euch auch nicht besser gehen mit eueren Vereinen – nichts für ungut, ich bin auch ein Vereiner. Es fehlt unseren Künstlern der Grund 382und Boden, sie wollen etwas für sich sein, ohne rückwärts oder vorwärts zu sehen. In diesem Punkte bin ich Aristokrat, der Künstler muß eine Herkunft haben, er muß wissen, wo er herstammt. – Raffael wäre nichts geworden, wenn er die alten Florentiner nicht angesehen, Masaccio hatte seine Vordermänner, Rubens ein ganz gewaltiger Mensch. Da hat die Aristokratie ihre Bedeutung, ebenso wie in der Geschichte, nur selten kommen dort wie hier einzelne Heroen vor. In Berlin habt ihr nur den einen Weg, der ist historisch.

Nehmt mir es nicht übel, aber ich bin in diesem Punkte sehr historisch. – Als ich an den Einfluß des Faust auf die jetzige Weltgestaltung erinnerte und die Ansicht aussprach, daß sich namentlich Frankreich und England gegenwärtig mit der Lösung dieser Aufgaben quälten, sagte er: Wir dürfen es ja wohl hier unter uns ohne Anmaßung sagen, daß wir einigen Einfluß gehabt haben, aber es ist unsereinem oft genug verleidet worden, wenn man sieht, wie sie’s schlecht verarbeiten, die Franzosen zumal, die verstehen den Teufel davon, wir wollen’s indessen nicht in Abrede stellen, daß wir der deutsche Sauerteig sind, der diese Masse in Gährung bringt. – Cousin aus Paris war kürzlich durchgereist, doch hatte er ihn wegen Unwohlsein nicht gesprochen; er rühmte den Ernst, mit welchem er sich um deutsche Philosophie bekümmert. – Er neckte die Schwiegertochter, daß sie zu patriotisch sei, jedoch in dem Sinne, daß sie immer eine nähere Bestimmung dieses Patriotismus erlaube und dabei vorzusetzen erlaube: englisch, französisch, italienisch usw. patriotisch. Ich für meinen Teil, sagte er, habe mich für den Orient entschieden, es ist zu bunt hier und mich verlangt nach Friede. Die Leute wollen immer, ich soll auch Partei nehmen, nun gut, ich steh’ auf meiner Seite. Die Frau von Staël kam auch immer damit angestiegen, ich sagte ihr: auf die Seite Napoleons darf ich nicht treten, da laßt ihr kein ganzes Stück an mir, und sprech’ ich für euere Sache, so hört alles Gespräch auf, also laß mich nur für mich machen. –

Er freute sich sehr, von mir zu hören, daß der sel. Körner mir den Briefwechsel mit Schiller vermacht hat. Für Schiller war ein Mann wie Körner ein wahres Glück, er bedurfte einen Freund und Ratgeber von solcher Treue, Gewissenhaftigkeit und Gutmütigkeit. Darin waren wir 383sehr verschiedener Natur. Daß Schiller nichts schrieb und dichtete, ohne es vorher vielfach zu besprechen, ganze Szenen des Wallenstein, Tell usw., hat er mir, eh’ er sie aufschrieb, mündlich und ausführlich erzählt; seinen Demetrius hätte ich fortsetzen gekonnt, so genau hatté er mich davon unterrichtet. Mir ging’s anders, wenn ich etwas von meiner Muse ausgeplaudert hatte, eh’ sie mich damit beschenkt, so kam dann nichts davon zustande! Er rühmte Schillers unsäglichen Fleiß bei seiner großen Kränklichkeit. Ich dachte nicht, als ich den kranken Mann kennen lernte, daß er noch ein Jahr leben würde und wir haben dann zwölf Jahre noch zusammen gelebt. Wie rasch schritt er vorwärts – er war jedesmal gewachsen, wenn ich ihn wiedersah, so arbeitete er, so las er. –

Grüßen Sie doch ja die lieben Körners von mir, es waren zwei muntere, schöne Kinder, recht ausgelassen manchmal, wenn sie mir meine Locken verwirrten, da hatte die Mutter dann ihre Not, sie wieder durchzukämmen, sie tat es aber recht gern, auch wenn das Haar in guter Ordnung war. Der Vater war ein fleißiger, geschickter Künstler, zu dem ich immer gern ging. – Er kam noch einmal auf die Künstler unserer Tage zu sprechen. ]